Zeit der Malerei von Evgeni Dybsky: Translation of Time XVII, Tintoretto Included / Ekaterina Tewes

"Translation of Time XVII" ist die jüngste Gemäldeserie von Evgeni Dybsky. Seit der 1992 entstandenen Serie "Translation of Time I" hat der Künstler alle nachfolgenden Serien fortlaufend nummeriert. Bei aller Unterschiedlichkeit der Werke verweist der gemeinsame Titel auf einen wesentlichen Aspekt von Dybskys Malerei, die eine Übersetzung oder auch Übertragung von Zeit anstrebt. Indem Dybsky die Frage nach der Temporalität in der Malerei aufwirft – einer eben nicht zeitgebundenen Kunst –, offenbart er den zentralen Grundsatz seiner Denk- und Arbeitsweise. Es geht ihm um die paradoxe Logik, die nahelegt, dass Gegensätze sich nicht ausschließen müssen. Unsere Erfahrungswelt ergebe sich geradezu aus der Einheit der in ihr enthaltenen Gegensätze. 


Dieses Prinzip prägt auch Dybskys Auffassung von Zeit. Der objektiven Zeit, die sich entlang des Zeitpfeils erfassen ließe, setzt er das subjektive und nicht lineare Zeiterleben entgegen. Das Letztere ist mit der Dauer im Sinne Henri Bergsons verwandt. Unsere Zeit, heißt es bei Bergson, „ist nicht ein Augenblick, der einen Augenblick ersetzt – dann gäbe es immer nur Gegenwart, keine Erstreckung des Vergangenen ins Jetzige“. Dagegen sind wir als Individuen „das Kondensat jener Geschichte, die wir gelebt haben“ – eine Summe der kontinuierlich fortstrebenden Vergangenheit, die durch das Vergehen der Gegenwart unablässig anwächst. Die Wahrnehmung eines jeden Moments bedeutet daher das simultane Erleben vieler heterogener Momente. Schließlich macht Dybskys "Translation of Time" darauf aufmerksam, dass auch die Betrachtung keine lineare Abfolge der Eindrücke ist, sondern deren gegenseitige Durchdringung – eine Gleichzeitigkeit von flüchtigen Wahrnehmungen und wahrendem Gedächtnis. 


Ähnlich wie Augenblicke funktionieren auch Dybskys Gemälde nach dem Prinzip der Verschränkung der Gegensätze. In der Serie "Translation of Time XII" von 2004-2005 entwickelte er Maltechniken, die die natürliche Alterung der Farbschicht verlangsamen oder beschleunigen. Auf der jeweiligen Leinwand eingesetzt, visualisieren sie die Zeit zudem als eine materielle Kraft. Die auf die Spitze getriebene Perfektion der spiegelglatten Bildabschnitte steht im Kontrast zu den Craquelés, die die absichtlich gealterten Partien durchziehen. Mehrere parallele Zeitstränge koexistieren auf diese Weise in einem Bild.


In der neuen Serie "Translation of Time XVII" sucht Dybsky nach der Vielheit des Moments in der Auseinandersetzung mit dem Licht. Dabei bezieht er sich auf die Helldunkel-Technik und unterläuft zugleich ihre Regeln. Den Impuls dazu gab ihm eine Begegnung mit den Gemälden Jacopo Tintorettos in der Scuola Grande di San Rocco in Venedig. Bei Tintoretto löst sich das Bildlicht aus dem Gefüge einer kontinuierlichen Helldunkel-Verteilung heraus. Einzelne Bildabschnitte, oft nebensächliche, mal die Schultern, mal die Faltenzüge, leuchten grell auf. Anderes verschwindet im Dunkel. Forcierte Lichteffekte bilden Zonen des Lichts, die im Sinne eines klassischen Helldunkels unmotiviert sind. Als ob willkürlich über die Schablone auf eine naturalistische Zeichnung aufgetragen, zersplittern diese Lichtflächen die visuelle Kontinuität eines Gemäldes.Die für diese Malweise exemplarischen Werke "Susanna im Bade", "Merkur und die drei Grazien", "Die Schmiede des Vulkan" dienten Dybsky als Ausgangsmotive für seine Serie.


Dybsky übernimmt das Prinzip der Fragmentierung und teilt das jeweilige Bild in Licht- und Dunkelzonen auf, die mit dem naturalistischen Helldunkel nicht identisch sind. Dunkelzonen zeichnet er mit Kohle oder Rötel auf den nicht grundierten Partien der Leinwand. Für die Lichtzonen grundiert er die Leinwand dagegen und trägt auf sie mehrschichtig Ölfarbe auf, bis der Effekt entsteht, dass die Farben von innen heraus leuchten.


Zu den weiteren thematischen Schwerpunkten von "Translation of Time XVII" gehören Landschaftsmotive und Selbstporträts. Das Selbstbildnis ist zudem ein Genre, dem sich Dybsky zum ersten Mal in seiner Karriere widmet. Die Gegensätze zwischen dem Farben-Licht und Zeichnungs-Dunkel zersplittern die jeweilige Abbildung von Gesicht oder Landschaft in heterogene Einzelflächen. Dennoch interagieren diese kapselartigen Fragmente miteinander. Ohne dass ein klassisches Helldunkelspiel entstehen kann, entstehen hier seine Effekte: Form, Volumen und Raumtiefe. 


Die malerische und die konzeptuelle Auseinandersetzung Dybskys mit dem Licht verleitet ihn auch dazu, mit der Wirkung des Umgebungslichts auf seine Arbeiten zu experimentieren. Da die nicht grundierten Zeichnungspartien lichtdurchlässig bleiben, können die Werke der Serie in zweierlei Weise ausgestellt werden. Entweder werden die Gemälde an der Wand angestrahlt oder so im Raum platziert, dass das Licht durch die Leinwand hindurchscheint (Abbildungen 1-3, 8-9). Im letzteren Fall kehrt sich das Aktivitätsverhältnis von Hell und Dunkel vollständig um. Die gezeichneten Flächen erstrahlen in plötzlicher Semi-Transparenz. Die Farbpartien wirken dagegen verdunkelt und entsättigt. Sie verwandeln sich in lichtundurchlässige, wolkenartige Verdichtungen, die nun auf dem Zeichnungshintergrund wie in der lichterfüllten Atmosphäre schweben. Würde man dabei eine künstliche Lichtquelle einsetzen, deren Temperatur, Farbe und Standort veränderbar wären, so entstünde eine bewegte Lichtprojektion – ein Bild, das nur in der Zeit existieren kann.


Dybskys Auseinandersetzung mit der Lichtsprache der Malerei sowie mit den Eigenschaften der Leinwand offenbart die analytischen Züge seiner Arbeitsweise. Die Untersuchung der bildnerischen Mittel bedeutet für ihn jedoch keinen Verzicht auf Gefühl und Spontaneität. Dem rationalen Verfahren stellt er die Sinnlichkeit der malerischen Materie gegenüber und bleibt damit dem Prinzip der Gleichzeitigkeit der Gegensätze treu.